Spaziergang in Breitensee: Engagement und Charme
Das alte, beschauliche Breitensee H.C. Artmanns (1921-2000), des großen Dichters und wohl bekanntesten Breitenseers, gibt es so natürlich nicht mehr. Doch Menschen wie Gerhard Koudela, Christina Nitsch-Fitz und Anna Pawlik arbeiten daran, den Charme zu erhalten und neu zu erschaffen. Ein Lokalaugenschein.

Wenn Gerhard Koudela Pizza backend am Holzbackofen am Laurentiusplatz steht, springt der Funke gleich über. Das liegt nicht nur am verführerisch knisternden Feuer und den guten Zutaten, sondern vor allem an der mitreißenden Art und Weise, mit der er über sein Grätzl Breitensee, dessen einzigartigen Charme sowie dessen Baustellen berichtet, an denen es weder im Wort- noch im übertragenen Sinn mangelt.
Pizzabäcker, Organisator, gute Seele: Koudela ist nach eigenen Angaben in Breitensee »bekannt wie ein bunter Hund«. Als Kind des Grätzls war er bereits im Alter von sieben Jahren als Ministrant in der Pfarre Breitensee tätig, später dann in der Jungschar. Heute bezeichnet er seine Kolleg:innen und sich als »Pensistranten« – ein Ausdruck, der Gegenwart und Vergangenheit miteinander verbindet.
An diesem Samstag im April backt Koudela seine Pizzen für die vielen Helfer:innen der Breitenseer Pfarrcaritas. Dreimal wöchentlich öffnet diese ihre Pforten, versorgt jede und jeden, die oder der kommt, ohne Auflagen und ausschließlich aus Spendengeldern. »Aktuell haben wir dreimal mehr Gäste als noch vor einigen Monaten – vor allem ukrainische Geflüchtete«, berichtet Koudela. Der deutlich steigende Bedarf bringt ihn aber nicht ins Schwitzen. Es mangelt derzeit weder an Sachspenden noch am Engagement der Bürger:innen.
Das mag auch mit dem besonderen Charakter Breitensees zusammenhängen. »Wir sind ein Dorf in der Stadt«, sagt Koudela. Man kennt und hilft sich, bringt sich für das Gemeinwohl ein. Der enorme Zuzug an Neu-Breitenseer:innen, der angesichts der immensen Neubauprojekte vor der Tür steht – in der Hägelingasse, Kendlerstraße, Spallartgasse und Breitenseer Straße entstehen aktuell mehr als 1.000 neue Wohnungen – ist Chance und Herausforderung zugleich. »Je voller es wird, desto größer ist die Gefahr, dass Breitensee ein Stück weit seine Seele verliert«, befürchtet Koudela.
Um dies zu verhindern, brauche es vor allem umsichtige politische Maßnahmen. Koudela zählt einige seiner Vorstellungen auf: ein autofreier Laurentiusplatz samt neuer Sitzmöbel und Trinkbrunnen (ein entsprechender Antrag der Grünen Penzing, dem bei einer Sitzung im Februar bis auf die FPÖ alle Penzinger Parteien zugestimmt haben, wurde von der MA46 mit fadenscheinigen Argumenten vorerst abgewiesen), das Ende des Durchzugsverkehrs in der Spallartgasse und eine Verlängerung der 30er-Zone über den Feilplatz bis zur Huttengasse. Diese und noch einige andere Forderungen finden sich auch in der von Koudela eingebrachten Petition »Breitensee – das Grätzl lebens- und liebenswerter (um)gestalten«, die noch einige Unterschriften braucht, damit sich der Wiener Gemeinderat verpflichtend damit beschäftigen muss.
Traditionsreiches Kino mit Zukunftsvision

Bereits unterschrieben hat unter anderem Christina Nitsch-Fitz. Die Betreiberin des ältesten Kino Wiens, der Breitenseer Lichtspiele, die Anfang dieses Jahres offiziell die Leitung von ihrer kürzlich verstorbenen Tante Anna Nitsch-Fitz übernommen hat, würde sich noch mehr Belebung in der Umgebung wünschen. »Eine Verkehrsberuhigung würde Gastronomen anlocken. Und mehr gastronomische Abwechslung würde den Charme des Grätzls noch weiter vergrößern«, sagt Nitsch-Fitz.
Die Fußstapfen ihrer Tante, die das Kino mehr als ein halbes Jahrhundert lang geführt hat, sind groß, Nitsch-Fitz ist trotzdem guter Dinge, was die Zukunft des kleinen Programmkinos angeht. »Meine Tante hat ihre gesamte Pension in das Kino gesteckt. Dieses Geld habe ich nicht, das heißt, wir müssen schauen, dass es sich finanziell einigermaßen rechnet«, sagt sie und fährt fort: »Ob das in Zukunft funktioniert, wissen wir nicht, aber wir glauben daran. Und wir wissen, dass den Menschen, die hier ein und aus gehen, das Kino ebenfalls unglaublich viel wert ist.«
Vor drei Jahren wurden die Breitenseer Lichtspiele dank Zuschüssen durch die Stadt Wien runderneuert, der Projektor, die Leinwand und der Ton auf den neuesten Stand gebracht. Und auch am Programm haben Nitsch-Fitz und ihr Kollege Dieter Mattersdorfer gefeilt. Neben dem normalen Kinoprogramm bieten die Breitenseer Lichtspiele nach wie vor einmal monatlich einen Stummfilm samt Klavierbegleitung an, aber auch neue Formate wie Kinderkino mit Livebegleitung und sind eine Kooperation mit der »Graphischen« eingegangen. »Dass hier im Grätzl so viel gebaut wird, wird dem Kino zugutekommen«, ist Nitsch-Fitz darüber hinaus überzeugt.
Breitensees kulinarische Perle

Abrunden lässt sich der Grätzlspaziergang am besten bei »Anna und Jagetsberger«, einem der charmantesten Lokale des Bezirks. Auch wenn man für den köstlichen Mittagstisch bereits zu spät dran ist, lässt sich noch immer etwa ein mit Minze verfeinerter Rhabarbercrumble genießen, der nicht nur sehr gut schmeckt und sehr gut aussieht, sondern auch mit sehr viel Liebe hergestellt wurde. »Ich würde niemals auf die Idee kommen, Fertigprodukte zu kaufen. Und damit sind wir als Lokal heute leider eine absolute Ausnahme«, sagt Anna Pawlik, die das Lokal in der Breitenseer Straße 40 vor acht Jahren gemeinsam mit Manuel Jagetsberger gegründet hat. Damals hatten sich die beiden eigentlich im 15. Bezirk nach einer Location umgeschaut, sind dann aber der Liebenswürdigkeit des Ortes verfallen.
»Alte Fassade, Blumengeschäft, Kino, Kirche, unbezahlbar schön«, beschreibt Pawlik das unmittelbare Umfeld. Dennoch würde auch sie sich über eine weitere Aufwertung des Grätzls durch Verkehrsberuhigung, etwa einen autofreien Laurentiusplatz, freuen.
Während des Gesprächs gehen vor allem Stammgäste ein und aus. Die Lokalbetreiber:innen wirken optimistisch, das Geschäft läuft den Umständen entsprechend gut, die Corona-Schwierigkeiten wurden einigermaßen überstanden und nun eröffnen Pawlik und Jagetsberger bald zusätzlich ein neues Wirtshaus in der Märzstraße, das vor allem abends geöffnet hat. »Im siebten Bezirk gibt es den Bedarf an solchen Lokalen nicht mehr unbedingt. Hier aber schon«, sagt Pawlik.
Um auf die Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung zu reagieren, ist nun vor allem auch die Bezirkspolitik gefordert. An H. C. Artmanns Geburtshaus in der Kienmayergasse, keine 200 Meter vom Laurentiusplatz entfernt, hängt noch heute eine Gedenktafel mit einem seiner Haikus: »der mond ißt äpfel / wenn ich nicht zusehe / aus unsren bäumen.«
Wären nicht – gerade auch angesichts des Zuzugs vieler tausend Menschen – einige neue Breitenseer Bäume und weitere Maßnahmen, um Breitensee noch lebenswerter zu machen, angebracht? Die Grünen Penzing haben diverse Vorschläge, die sich in weiten Teilen mit den Forderungen der Petition decken, unterbreitet.